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Die Zeichen der anderen Wirklichkeit

Kapitel 1

Mein Nahtoderlebnis zu Ostern und Genesung, 1977
 

Der erste persönliche Kontakt zu Jesus Christus und dem Zuhause des göttlichen Lichtes ereignete sich zu Ostern 1978 durch eine Spritztour von vier Jugendlichen mit einem blauen VW Käfer, der einem Freund meiner Halbschwester Ella gehörte und schon ein betagtes, aber zähes, langlebiges VW-Modell war.

Ich lebte zu dieser Zeit noch bei meinen Eltern, ging zur Realschule, war 17 Jahre alt, liebte die Tiere und die verliebte Spannung zu den Jungs aus meiner Klasse. Und ich genoss den Wind in den langen, dunkelblonden Haaren, wenn ich mit meinem Mofa Herkules M2 heimlich auf spannenden, freien Pfaden durch den Wald brauste.

Ich war in diesem Jahr zur Schulsprecherin gewählt worden, was mir gut tat und meinem Ego schmeichelte. Ich war dankbar, dass so viele Schüler meine fürsorgliche Art, die sich oft auf die Seite der Schwachen und Ärmeren stellte, sahen und mich deswegen wählten. Trotz allem gab es aber auch einen Teil in mir, der während des Unterrichtes heimlich Eier an die Tafel schmiss. Ich war mir ganz sicher, dass es niemand petzen würde, denn damals war der Lehrer immer der Feind und wir Schüler hielten zusammen. Dieser Teil sperrte auch den kleinsten Schüler in den Lehrerpult und ließ ihn den ganzen Unterricht über heimliche Klopfzeichen machen, während den Lehrer diese unentdeckten Geräusche fast zum Wahnsinn trieben. Wir gaben dem Klassenbuch einen Schubs hinter den Schrank, damit die Einträge über die vielen unentschuldigten Fehlzeiten verschwanden, hauten die Klassenkasse im Verbund auf den Kopf, schwänzten die Schule und fühlten uns frei und unabhängig, solange wir nur zusammenhielten. Beim nächsten Streich zog ich alle Gardinen im Klassenzimmer zu und schob das Skelett genau vor die Eingangstür, damit der Biolehrer sich so richtig erschreckte und wir eine Menge zu lachen hatten. Ich vertauschte die Schilder des Lehrerzimmers mit den Schildern, welche die Toiletten mit „00“ auswiesen. Wir sangen extra falsch im Musikunterricht, damit wir unseren Direktor persönlich auf die Palme brachten, doch trotz allem liebte er mich als seine gute Schülerin über alles, da ich diesen Schabernack immer unentdeckt inszenierte und ein lammfrommes Gesicht zog, wenn er den Schuldigen suchte.

Lachkrämpfe waren an der Tagesordnung und so selbstverständlich wie die Marlboro-Schachtel und die dicke Bürste für die wallende Haarmähne im alten Bundeswehrparka sowie die Jeans von Wrangler. Es war die Zeit von großen Musikern wie Carlos Santana, Status Quo, Sweet, Jimmy Hendrix, Pink Floyd, David Bowie und vielen wilden Partys, bei denen wir den Kopf schüttelten, während die Musik laut durch unsere gedankenlosen Köpfe hämmerte. Je länger dabei die Mähne war, umso besser sah es beim Headbanging aus.

Die Jungs aus der Klasse standen Schlange, um mit mir zu gehen, aber ich hatte in dieser Zeit nur Augen für Ole und Gunner. Ich war fast frei von Ängsten und Vorurteilen und dachte mir die Welt bunt und schön, nur die Einsamkeit hasste ich wie die Pest. Da ich aber durch eine riesige Clique verwöhnt war, gab es bei mir fast nie Langeweile. Sollte es doch einmal passieren, strickte ich einen Pullover, hörte heimlich Stephan Sulke, der bei Ella im angrenzenden Kinderzimmer als Schnulzensänger verschrien war, oder ich organisierte schnell einmal ein Treffen zum Zelten oder lange Unternehmungen in der Natur mit den Nachbarhunden.

Ostersonntag im März 1978 war ein einschneidender Tag. Draußen stürmte es, es war eiskalt und der Schneeregen vermieste es einem, nach draußen zu gehen.

Meine Eltern waren bei Bekannten und wir hatten sturmfreie Bude. Wir, das waren Ella und ich, Ellas Freundinnen Helga und Sina und Sinas Bruder Ole. Wir fünf vertrieben die Langeweile in Ellas Mansardenzimmer, indem wir über alles erzählten, was gerade so aus unseren spätpubertären Köpfen raus wollte.

Plötzlich ging die Mansardentür auf und ein Bekannter von Ella schneite herein. Er plapperte sofort los und meinte, er hätte gerade erst seinen Führerschein bekommen und sei nun der stolze Besitzer eines alten VW Käfers. Mein erstes Bauchgefühl sagte mir, dass er ein undurchsichtiger, dunkler Zeitgenosse war, der maßlos angab. Damals hatte ich noch keine Erklärung für dieses Gefühl in mir, aber es war da und warnte mich. Ich missachtete diese inneren Warnrufe jedoch und folgte dem gemeinsamen Impuls nach Aktion. Ich konnte es kaum erwarten, in das Fahrzeug zu steigen, um dem ganzen Herumsitzen ein Ende zu machen.

Beim Einsteigen wollte meine drei Jahre jüngere Halbschwester Ella unbedingt auf meinen Schoß auf die Beifahrerseite. Intuitiv und vehement verbot ich ihr einzusteigen und schubste sie ein wenig nach draußen, wo sie dann muckelig zurückblieb. Jahre später wurde mir bewusst, dass ich ihr damit das Leben gerettet hatte. Sie hatte mich am Vortag, als ich ihr einen Negerkuss ins Gesicht geklatscht hatte, aus tiefster Seele verflucht und nun verbannte ich sie auch noch aus dem Wagen und ließ sie zu Hause, da der Rest der Sitze schon besetzt war.

Die seltsame Reise ging los und der Fahrer des Wagens wollte einmal um den „Pudding“ fahren. Während der Fahrt heizte er sich in seinem Ehrgeiz allerdings immer mehr auf, sodass er in seiner Euphorie nicht aufhören konnte und uns kilometerweit vom Heimatort wegfuhr. Er prahlte dabei die ganze Zeit mit seinen Fahrkünsten und wir fielen aus Unerfahrenheit darauf herein. Durch mein wildes Jugenddasein, als Kind der 60er Jahre, überzeugter Freigeist und Status Quo Fan, verschüchterte es mich nicht im Geringsten. Ich blieb äußerlich cool und überging erneut mein aufsteigendes, mulmiges Bauchgefühl. Auf der Rückbank saßen Ole und Sina, Ole hinter dem Fahrer, Sina hinter mir. Der Fahrer steigerte sich immer mehr in seine Raserei hinein, wobei er sich in keinster Weise an die äußeren Witterungsbedingungen anpasste. Er überdrehte das alte Gefährt mit absoluter Rücksichtslosigkeit. Als er mit 90 km/h absichtlich über den Grünstreifen auf den vereisten Acker und wieder zurückfuhr, wusste ich das erste Mal, dass ich hier in Gefahr war, und konnte es auch nicht mehr unterdrücken. Die Maske der Coolness wich. Ella wusste, dass sein Sternzeichen Widder war, und genauso feurig war auch seine riskante Fahrweise. Trotz der glatten Straßen drosselte er das Tempo nicht, sondern offenbarte uns mit seltsam prahlendem Unterton den Satz: „So, jetzt kommt eine scharfe Kurve!“ Intuitiv schloss ich den Beckengurt, denn in dem alten VW Käfer gab es noch keine modernen Dreipunktgurte. Die nahende Kurve war in der Tat sehr scharf, 90 Grad, aber trotzdem verminderte er keineswegs das Tempo. Ich fühlte, dass das nicht gut gehen würde. Das würde daneben gehen.

Im nächsten Moment befand ich mich in einer lichtdurchfluteten hellen Sphäre. Vor mir lag ein weites, transzendentes, geistiges Feld. „Wo bin ich hier?“ Alles war leicht, ich war ungewohnt schwerelos und voller guter Schwingungen. Sphärische Musik um mich herum, Musik voller Schönheit und Sanftheit erfüllte mich. Mit Pink Floyd war sie kaum zu vergleichen, eigentlich war sie mit keiner Musik auf Erden zu vergleichen. Diese Musik kannte ich nicht und diesen Zustand erst recht nicht.

Ich schaue an mir herunter, doch wo war mein Körper? Ich suchte ihn. Er war nicht mehr da. Kein Parka, keine Cowboystiefel, keine Jeans mehr und keine Marlboro-Schachtel an mir. Alles war schön so, wie es war. Tiefer Frieden durchdrang immer mehr mein Sein. Ich fühlte ein geistiges Kleid. Hier war die vollkommene Ruhe, Gleichheit, Glück, Schmerzlosigkeit, Zufriedenheit, Leichtigkeit und ganz viel Liebe in und über mir. Es war das Sein pur. Eigentlich hätte ich schreien müssen: „Wo bin ich!?“ Doch ich nahm wahr, dass ich hier seit Ewigkeiten hingehörte und hier ein zu Hause hatte. Ich begann, mit den Energien zu schmusen und noch mehr in sie einzutauchen, mit ihnen zu verschmelzen. Ich war frei, frei, frei! Ich hätte alles gleichzeitig machen können, wenn ich es gewollt hätte, doch ich traute mich noch nicht und musste erst langsam ankommen. Ein Blick in die schönste, lichtvolle Landschaft zu meiner rechten Seite und im irdischen Maße fühlend, ließ mich Unendlichkeit erahnen und ich staunte, wie es auf Erden nicht möglich war. Die sphärische Musik tausender Engel durchdrang mich und ließ mich zutiefst die weite Dimension Gottes erahnen. Ich war mit der Musik, die auch eine Art Lichtsprache war, wie von selbst verbunden und ein Teil von ihr. Auch trug sie ein unendliches Wissen in sich, dessen Intelligenz so unermesslich groß war, dass es auf der Erde nie erlernt werden könnte. Ich staunte, fühlte, liebte mit aller Energie, die mir zur Verfügung stand, ohne dabei einen Körper zu haben.

Doch wer staunte da? Welcher Teil in mir konnte solch Schönheit körperlos wahrnehmen? Ich spürte, dass ich einen ganz wesentlichen Teil mit hier hergenommen hatte, fragte mich aber welchen, und entließ den Gedanken, der ganz ohne Kopf und Gehirn möglich war.

Ein Energiefeld zog mich ganz langsam und liebevoll, ohne Druck und von ganz allein, an sich heran und ich ließ es geschehen.

Mit der frischen Liebe zu Ole konnte man diese Liebe hier im Himmel gar nicht vergleichen. Selbst dieser Gedanke spielte im Himmel keine Rolle mehr, denn mit irdischer Liebe war hier nichts zu vergleichen. Es war die reinste Form der Liebe, die ein Mensch körperlos empfangen konnte.

Hätte ich meinen Körper gehabt, wäre er sowieso vor lauter Glück in alle Richtungen gesprengt worden und Licht hätte ihn adoptiert und ausgewechselt. In der Schwerelosigkeit spürte ich, dass sich Raum und Zeit völlig aufgehoben hatten, dass ich das Fühlen von oben und unten, rechts und links mit einer spielerischen Leichtigkeit beherrschte, ja ich konnte es sogar gleichzeitig. Hier gab es keine Zeit mehr und der Raum ließ Unendlichkeit glaubhaft erahnen. Hier herrschten andere Gesetze, die aus Licht waren. Ich hatte eine kleine Ahnung von der Person, die ich kurz vorher noch war, aber auch diese wäre in kürzester Zeit völlig erloschen, denn Ego war hier nicht mehr wichtig und irdische Freude und Leid spielten hier keine Rolle mehr.

Je länger ich hier blieb, umso klarer wurde mir, dass ich nun ein Teil des ewigen Lichtes werden würde, sobald ich meine Hülle auf Erden abgelegt hatte. Es gab kaum noch Zweifel in mir, dass das hier unsere wahre Heimat war. Während dieses Gedankens entstand ein Sog in mir, von dem ich weiter in das wartende Energiefeld gezogen wurde.

Das Energiefeld des liebenden Schwellenhüters erkannte ich aus der Herzfrequenz heraus als den jungen Mann, den man mir im langweiligen Konfirmandenunterricht nahelegen wollte. Es handelte sich für mich um Jesus Christus. Die Begrüßung zwischen uns geschah telepathisch und es bedurfte keiner persönlichen Vorstellung, denn er kannte mich bereits seit ewiger und unendlicher Zeit. Auch er war aus liebendem Licht von unendlicher Schönheit und Strahlkraft.

Hätte ich ein irdisches Herz gehabt, wäre es vor Freude geplatzt. Er leitete mein Bewusstsein telepathisch auf feinstoffliche Energiefelder, die hinter ihm ruhten und sich anfühlten wie liebende Wattebäusche aus reiner Lichtenergie. Auch sie ruhten in der absoluten Zeitlosigkeit, ernährten sich durch Licht und waren aus ihm. Ich hatte eine Ahnung, dass er der Hüter dieser heiligen Lichtstätte war. Es war der majestätischste Anblick, den ich je zu sehen und zu fühlen bekam.

Alles unterlag dem reinen, göttlichen Bewusstsein und der vollkommenen Liebe und das reichte dem Dasein hier aus, es war erfüllt davon.

Waren es Seelenfelder? Zeigte er mir, wohin ich hier kam? Dies war die liebevollste Lichtstätte, die ich dort sah, und die Sehnsucht da zu sein hatte eine enorme Anziehungskraft.

In diesem Ort aus Licht gab es nur Liebe und ich sah und spürte nicht eine einzige Spur von Dunkelheit, Boshaftem oder Ähnlichem und es gab nicht ein Gebilde hier, das Schatten werfen konnte. Diese Ebene war aufsteigend und folgte einem höheren Sein. Ihre Anziehungskraft war enorm. Es ging immer nur in eine Richtung, höher und höher und weiter und freier. Keine Polarität war mehr zu spüren, jede Schwere war verschwunden. Hier gab es keinen Müll, keinen Tod, keinen Lug und Betrug, keine List und auch keinen Schmerz. Krieg wäre hier unmöglich gewesen. Schon allein der Gedanke daran, wäre hier gar nicht möglich.

Nachdem ich das himmlische Schauspiel intensiv energetisch wahrgenommen hatte, wurde mein Bewusstsein auf einen Tunnel aus dunkler Energie gerichtet. Am Ende dieses Tunnels war ein hellgelbes Licht. Ich spürte, dass dieser schwarze Tunnel meinen momentanen Zustand verändern würde, aber schöner als es hier war, war es nirgendwo möglich. Ich wollte nicht zurück. Auf gar keinen Fall wollte ich zurück und durch diesen schwarzen Energietunnel. Jedoch sog er mich in sich und ich hatte keine andere Wahl, als zu folgen. Wieder war das Reisetempo Lichtgeschwindigkeit.

Nach diesem wunderschönen Erlebnisbad befand ich mich wieder in meinem irdischen Körper, schlug mit enorm nüchterner, weltlicher Macht auf vereistem Ackerboden auf.

Es war der brutalste Fall und die Wiedergeburt in das irdische, materielle Feld.

Erst viel später erfuhr ich im Krankenhaus, was in der scharfen Kurve passierte, dass ich 80 Minuten bewusstlos zu Ostern auf der vereisten Erde gelegen hatte. Mein Selbst hatte aber gleichzeitig einen langen, zeitlosen Aufenthalt im Himmel verbracht und war sehr bewusst gewesen. Drüben war es für mich eine Ewigkeit ohne Zeitmaß, während die Uhren auf der Erde ihren zählenden Takt beibehielten.

Mein Körper beherbergte wahnsinnigste, kaum zu beschreibende Schmerzen.

Wir waren mit 100 km/h ohne richtigen Sicherheitsgurt und ohne Nackenstütze gegen eine dicke Eiche gefahren. Seltsamerweise rutschte mein ganzer Körper unter dem geschlossenen Beckengurt hindurch, flog durch die Scheibe und lag ungefähr 20 Meter vom Auto entfernt auf dem gefrorenen, eiskalten und nassen Acker. Durch den enormen Aufprall ohne Airbag und ohne Kopfstütze erlitt ich ein heftiges Schleudertrauma. Der Gurt strangulierte mir den Hals, riss mir die Halsschlagadern auf, brach mir den ersten Halswirbel an und renkte mir den Kopf aus dem Gelenk, sodass er leicht verdreht hinten auf meiner rechten Schulter lag. Ich zerriss mir die Bänder zwischen erstem und zweitem Halswirbel.

Diesmal war mein ganzes Sein nur Schmerz. Der Schmerz wurde durch das extreme Zittern am ganzen Körper verschlimmert und mein Kiefer klapperte durch den Schock, was von mir mental nicht zu stoppen war. Es war für mich nicht auszuhalten, es war zu viel. Schneeregen und die weite Entfernung zum nächsten Dorf verschlimmerten die Situation.

Nur Ole befreite sich sofort nach dem Crash aus dem zertrümmerten Wagen, der Rest verharrte schockiert und fragte sich, wo ich sei, denn der Gurt war immer noch geschlossen, nur mein Sitz leer und die Frontscheibe zertrümmert. Ole hatte lange auf mich eingesprochen, wobei ich, nach seinen späteren Aussagen, für ihn mehr tot als lebendig gewesen war. Er war der Einzige, der mutig genug war und tatkräftig ins weit entfernte Dorf lief, um den Krankentransport zu rufen.

Plötzlich hörte ich auf dem kalten Acker eine Stimme mit den Worten: „Hab keine Angst. Alles wird gut. Ich deck dich zu.“ Als sie es dreimal total liebevoll wiederholt hatte, war ich beruhigt und es wurde ganz friedlich und warm in mir, bis ganz tief in meinem Inneren Frieden einkehrte.

Der Krankenwagen kam erst nach 80 Minuten, da sich Notfallstationen nicht entscheiden konnten, wer für diese abgelegene Örtlichkeit zuständig war. Es tat sehr weh, auf die Trage gehoben zu werden. Ich flehte sie an, mich bitte liegen zu lassen, da ich weitere Schmerzen nicht mehr aushalten konnte. Ich verlor immer wieder das Bewusstsein, kam ab und zu zurück und bemerkte, wie man mir im Krankenwagen den Halsumfang maß. Die Sanitäter meinten untereinander, dass hier wohl jede Hilfe zu spät käme, denn meine aufgerissenen Halsschlagadern bluteten in den Kopf und ließen ihn auf die fast doppelte Größe anschwellen. In der Notaufnahme tat es unbeschreiblich weh, auf die Untersuchungsliege gehievt zu werden. Das Krankenhauspersonal schnitt meine Kleidung und die Lederstiefel mit der Schere auf, um mich daraufhin zu röntgen. Die Bewegungen während der Röntgentortur waren auch nicht auszuhalten und zu allem Übel ließ mich eine auszubildende Schwester dabei auch noch fallen. Nach allen Untersuchungen, die ich nur teilweise mitbekam, legte man mich auf die Intensivstation. Ich wachte ab und zu auf und drei mir bekannte Personen standen um mein Bett herum. Es waren meine Mutter, mein Stiefvater und meine jüngere Halbschwester Ella. Außerdem stand ein Arzt im weißen Kittel dort. Aufgrund der massiven Schwellungen im Kopfbereich erkannte mich meine eigene Mutter erst einmal nicht. Ich hörte, dass der Arzt meine Familie bat, Abschied von mir zu nehmen, da ich mit diesen schweren Verletzungen fast keine Überlebenschance hatte, er sprach von ungefähr 5%. Trotz meiner Kraftlosigkeit vernahm ich sein Urteil, doch weigerte ich mich mit einem ungewohnt heftig explodierenden Schrei nach Leben. „Nein!“, sagte ich mir. „Ich bleibe!“ Und ich nahm die nun folgenden Torturen auf mich, denn wie sie da so standen und weinten, taten sie mir sehr leid. „Ich bleibe für die Liebe da und werde wieder gesund.“ Das waren meine Gedanken an meinem eigenen Sterbebett. „Ich bleibe für die Liebe!“

Ich bekam alle sieben Stunden Morphium gespritzt und zählte die Sekunden bis zur nächsten Injektion. Das Morphium wurde eingeteilt von der Willkür der diensthabenden Schwester. Sein Rausch stillte zeitweise den unsagbaren Schmerz in meinem Genick, Kopfbereich und Kiefer.

Ich schrie oft vor Schmerzen, aber die Schwester der Intensivstation hielt sich an die Regeln und ich musste aushalten, bis viele, lange, schmerzhafte Stunden zu Ende waren. Ich lag in einem Kleid aus Schmerz und vergaß das wunderschöne Gefühl dieser lichtdurchfluteten Sphäre. Es war unvorstellbar brutal, von dort wieder in das weltlich-Körperliche zu fallen und jede Zelle meines Körpers sehnte sich nach dieser Leichtigkeit aus Licht und Liebe zurück.

Die Zeit der Intensivstation war nach 14 Tagen vorbei und ich wurde in ein 6-Bett-Zimmer verlegt. Es war die Hölle. Jeden Tag zu viel Besuch bei meinen Nachbarn. Zu viel Gerede, zu viel Hektik in diesem Zimmer und ich bat unter Tränen um Verlegung, denn ich hatte das Gefühl, dass ich mich nicht mehr richtig abgrenzen konnte und das Geschehen um mich herum in mir stattfand. Trotz meiner geschlossenen Augen konnte ich wie telepathisch die Bettnachbarn spüren und fühlen. Ich spürte irgendwie hinter ihre Worte und bemerkte, dass mir das vorher überhaupt nicht möglich gewesen war. Ich spürte tief in meinem Herzen, dass ihre Worte nicht das aussagten, was in ihrem Herzen zu spüren war. Es war eine künstliche und aufdringliche Atmosphäre, der ich nicht gewachsen war.

Die Mutter des Horror-Fahrers war „zufällig“ die Oberschwester dieser Station. Ich wurde auf ein 2-Bett-Zimmer verlegt. Dort wurde die endgültige Diagnose ausgesprochen. „Dens axis luxation“. Das heißt, der Kopf war aus dem Gelenk ausgerenkt, weil die Bänder zwischen den Wirbelkörpern zerrissen waren.

Ich wusste nichts über die Tragweite dieser Diagnose, bis ein freundlicher, aber bestimmender Arzt an meiner linken Bettkante Platz nahm. Er gab sich Mühe, mir den Heilungsverlauf aufzuzeigen, und versuchte es sehr mitfühlend: „Wir müssen dir eine Glissonschlinge anlegen!“

Nach seiner liebevollen Erklärung erwartete ich naiverweise eine ebensolche Behandlung, doch die anschließende Tortur setzte allem Leid die Krone auf. Mir wurde ein Halfter aus hartem Leder am Kopf befestigt. Ein 1,5 Kilogramm Gewicht, das an einem Seil über das Kopfende meines Bettes hing und an dem Halfter befestigt war, sollte mit seiner Zugkraft meinen Kopf dauerhaft wieder einrenken. Der Kopf hatte doch schon so viel erlitten und war so angeschwollen, und nun kamen durch den Dauerzug noch mehr unerträgliche Schmerzen hinzu! Das Martyrium multipler Prellungen und massiver Ödembildungen am ganzen Kopf, auf denen ich monatelang liegen musste, wurde mir mit einer Unterlage aus Schaffell erleichtert.

Ich bekam weiterhin einen Dauerkatheter, Nahrung aus dem Schlauch über Infusionen, viele weitere Schmerzmittel und einen Handspiegel. Mit dem konnte ich im richtigen Blickwinkel meine geliebte Natur und das Wetter beobachten, denn meinen Kopf konnte ich erst einmal keinen Zentimeter bewegen.

Der Arzt tröstete mich damit, dass ich nur drei Wochen in diesem Halfter würde verbringen müssen und dann würden wir weiter sehen. Er verließ einfach den Raum und hinterließ einen Haufen angeschnalltes Unglück, das nicht mehr ein noch aus wusste. Eigentlich war ich eine Wildnatur, immer unterwegs, wehende Haare und schallendes Lachen, das wie Pferdegewieher klang, und kilometerweit zu hören war, große Clique und knutschen bis der Arzt kommt.

„Wie kann ich das überleben?“, ich hatte keine Antwort, wusste nicht wie. „Wie hält man das aus? Kann man mit Horror Freundschaft schließen?“

Die Liebe der Besucher und des Pflegepersonals machten mir diese schwere Zeit etwas leichter. Ich liebte den zu Hause hergestellten Gurkensalat meiner Mutter, über den ich wieder Gefallen am Essen bekam. Ich liebte die Besuche meiner Klassenkameraden und die liebevolle Zuwendung meines damaligen Freundes Ole. Er kam, wie meine Mutter, jeden Tag. Sie halfen mir einfach durch ihre Gegenwart.

Ole war damals nichts passiert. Er schob es auf seinen braunen Karategürtel und seine daraus resultierenden Kräfte. Seine Schwester Sina hatte ein Schleudertrauma, der Fahrer selbst einen kaputten VW Käfer, was er wohl am meisten bedauerte. Er wurde später zu 300 DM Strafe wegen fahrlässigen Verhaltens verurteilt.

Mit der Zeit ergab ich mich in mein Schicksal, denn ich hatte ja keine andere Wahl. Selbst zum Rebellieren wäre weder Kraft noch Körper da gewesen. Ich kann nicht sagen, dass ich mich nicht täglich innerlich auflehnte, aber ich lernte es zu akzeptieren und wuchs in mein Schicksal tapfer hinein. Trotzdem zählte ich doch jeden einzelnen Tag rückwärts, um das Ding los zu werden und ein wenig mehr Kontrolle zu gewinnen.

Endlich nahte der Tag, an dem meine Schlinge abgenommen werden sollte. Tatsächlich kam wieder der freundliche Arzt und setzte sich an dieselbe Stelle wie vor drei Wochen. Ich spürte, dass jetzt etwas sehr Schreckliches aus seinem Mund ausgesprochen werden würde. Er fing sehr vorsichtig an und offenbarte mir, dass die Schlinge weitere acht Wochen an meinem Kopf ziehen würde. Das war komplett zu viel und ich weinte so sehr, dass ich alles verschwommen sah und die Folgen mir total egal waren. Ich ließ mich in den Schmerz fallen und kam nicht mehr hinaus. Die Geduld war am Ende und ich lag in der Hoffnungslosigkeit, angeschnallt über einen unerträglichen Zeitraum in der Zukunft. Ich bekam Medikamente verordnet, die mich ruhigstellen sollten, und sie taten es. Ich dämmerte so dahin, mir war alles egal. Total egal.

Viele mir vertraute Freunde besuchten mich nicht. Sie erzählten mir später, dass sie mich so nicht hätten sehen können. Andere kamen unverhofft, von denen ich es nie erwartet hätte.

Zum Beispiel der liebe Jörg, der unsere Schulzeit mit unermüdlichen Show-Einlagen veredelte, wobei er Frau Sand, die Chemielehrerin, zum liebsten Opfer nahm. Durch ihn wurde der Chemieunterricht zur Bühne. Regelmäßig setzte er den Klassenraum unter Wasser, indem er mit zwei Fingern die aufgedrehten Hähne der Versuchsbecken zuhielt bis das Wasser nach allen Seiten spritzte. Wir verabredeten uns zum absichtlichen falsch Lesen vor der ganzen Klasse, oder er tanzte barfuß um die Lehrerin herum, flog aus dem Klassenraum und hatte dadurch freie Zeit für die Lektüre seiner Bild-Zeitung. Er war der Schüler, der im Gesangsunterricht beim Rektor, den wir liebevoll „Keule“ nannten, ohne Problem von der ersten bis zur dritten Stimme jodelte, um uns auch dort auf seine Linie der Rebellion mitzuziehen, die er auch sonst auf dem ganzen Schulfeld auslebte. Sein Vater arbeitete im Kino, das dem Vater meiner Freundin gehörte. Somit war unsere Freizeit oft mit gesponserten Kinobesuchen gesegnet. Bei dem Kinofilm „Godzilla“ passierte es auch, dass er durch einen seiner heftigen, pubertären Krampfanfälle eine ganze Stuhlreihe im Kino entwurzelte und somit selbst zu einem kleinen Godzilla wurde.

Diese Handschrift passte vollends zu seinem nun folgenden Auftritt im Krankenhaus und er brachte mir mit seinem Wahn die mir fehlende Leichtigkeit der Clique zurück ins angeschnallte Dasein. Ich bin ihm heute noch mit jeder Zelle meines Körpers dankbar dafür.

Jörg war mit einem Koffer auf unseren Theaterhügel gezogen, hatte dort radikal alle Tulpen und Narzissen abgemäht und sie in den Koffer gestopft. Damit betrat er mein Zimmer und inszenierte den lustigsten Krankenbesuch, den ich je in meinem Leben zu Gesicht bekommen hatte. Er schmiss alle Blumen im gesamten Zimmer herum, manche trafen meine Mutter, und dann aß er sogar eine vor meinem Bett und tanzte mit Blumen im Mund, wie ein wild gewordener Stier, in meinem Zimmer herum. So drückte Jörg seine Freundschaft zu mir aus.

Er tat es, damit ich wieder lachte, und ich lachte aus vollem Herzen. Diese Tat vergesse ich ihm nie. Er steigerte seinen Wahnsinn sogar noch ins Unermessliche und berichtete mir, dass er so lange mit seinem Knie ein Waschbecken malträtierte, bis er mit einer immensen Schwellung in der Station unter mir eingeliefert wurde. Und dann besucht er mich jeden Tag in seinem Rollstuhl. Er war die Medizin, die mir am besten half, dieses Martyrium zu überstehen.

Meiner Mutter habe ich es zu verdanken, dass mein Kopf wieder gerade angewachsen ist, denn er lag zur rechten Seite geneigt und wollte in diesem Zustand auch anwachsen. Niemandem fiel diese Fehlstellung auf, doch sie setzte sich dafür ein, dass hier etwas unternommen werden musste. Ich bekam einen Sandsack in mein Bett, der stützend dagegen gelehnt wurde und dafür sorgte, dass der Kopf gerade anwuchs. Der Quarzsand in diesem Sandsack kam aus einer Sandkuhle, die an die Unfallstelle angrenzte.

Doch dies alles reichte dem Schicksal noch nicht. Es wurde aufgestockt. Mich plagten in dieser Zeit sieben Nierenkoliken. Es war ein Gefühl, als wenn man ein Messer in die Seite gestochen bekommt und es langsam umgedreht wird. Schön langsam und immer wieder. Folter! Angeschnallte Folter! Es war so extrem schmerzhaft, und ich hatte noch nie zuvor so eine Heftigkeit in der Niere gespürt, zumal ich dabei noch angeschnallt war. Ich war ein Bewegungsnaturell und wurde in kürzester Zeit mit einer verschleppten Nierenentzündung in die totale Ruhe verbannt, was diese Manifestationen von Calciumoxalaten zur Folge hatte. Es tat „schweineweh“. Aber auch das überstand ich, und ebenso zwölf weitere Nierensteine in den folgenden Monaten.

Doch zurück zu meiner Genesungszeit nach dem Unfall. Ein liebevoller, rothaariger und bärtiger Pfleger kümmerte sich um mich. Er war ein richtig netter Bär und verschönerte mir in jeder seiner Schichten mein liegendes Dasein. Er strahlte eine tiefe Ruhe aus und machte sich einen Spaß daraus, mich bei einem Gewitter seltsam zu beruhigen. Er brachte mir abends den Schieber an mein Bett, während es draußen blitze und donnerte. Pflichtbewusst und besorgt sagte er, dass er mir vorsorglich einen Blitzableiter bauen würde. Dafür wickelte er mir aus einer elastischen Mullbinde einen Blitzableiter, der vom oberen Bettrahmen ausgehend über meinen Körper verlief, dann am Henkel des Schiebers befestigt wurde und schlussendlich über den nächsten Rahmen am Fußende des Bettes bis zum Boden reichte. Ich dankte ihm mit einem Lachkrampf.

Der Tag der Befreiung aus der Glissonschlinge nahte und alle medizinischen Hochkaräter sowie das gesamte Pflegepersonal der Station versammelten sich um mein Bett. Die Schlinge wurde mit der Aussage entfernt: „Bitte sehr, sehr vorsichtig aufstehen.“ Ich war die Hauptdarstellerin und war vollends damit überfordert, meinen Kopf nur ansatzweise einen Zentimeter zu heben. Ich brauchte Hilfe von mehreren Personen, die meinem total abgemagerten Körper erst einmal in eine sitzende Position verhalfen.

Alles zitterte, fühlte sich völlig fremd an. Es gab keinerlei Haltemuskulatur mehr in meinem Körper, da sich ja alles auf das Liegen eingelebt hatte. Man befestigte einen Fixateur an den Bereichen meiner Hals- und Brustwirbelsäule, der die vollkommen erschlaffte Muskulatur wiederum für drei Monate stützen sollte.

Mein Kampfgeist befahl: „Steh auf!“ Liebevolles Umsorgen verhalf mir zum ersten Stehen am Bett im weiten Raum. Meine einstmals wunderschön durchtrainierten Beine entpuppten sich als unkontrollierbarer Wackelpudding. Mich überlief ein Schub aus lähmender Angst und fesselndem Neubeginn. Mit der Kraft meiner Helfer schaffte ich es trotzdem, in wackelnden, zaghaften Schritten, den Kampfgeist aus dem Kopf nach unten in den Körper zu leiten. Purer Wille ermöglichte mir ein Vorwärtskommen in den angrenzenden Toilettenbereich meines Zimmers. Nun war ich zwar ein Stück weiter befreit aus dem angeschnallten Dasein, aber der nächste widerliche Level folgte zugleich. Der Fixateur war eng und sehr hart, er presste sich stützend, aber aufdringlich, in mein abgemagertes Fleisch. Die Frage nach dem Warum tat noch mehr weh und ergab keinen Sinn. Ich musste ihn als Hilfe annehmen, obwohl er sich wie eine Strafe anfühlte.

Im Bad hatte ich die Möglichkeit, mich zum ersten Mal nach drei Monaten wieder stehend im Spiegel zu betrachten. Ich erkannte den Menschen, der hier zurückschaute, nicht mehr als mich selbst. In diesem Gesicht las ich Spuren von Leid, Entsetzen und Tod. Ich konnte dem Blick nicht standhalten, weil er mich zutiefst in meiner Seele berührte.

Der kleine Schwellenhüter der Station, Professor Günther, erlöste mich aus dieser Situation, stützte mich unter dem Arm und versuchte mit mir einige neue Schritte auf dem Flur, um mir liebevoll meinen neuen Level und mein Trainingsfeld zu zeigen. Völlig erschöpft legte ich mich danach erst einmal wieder auf mein vertrautes Leidensbett. Mir wurde klar, dass der Fixateur mir Fluch und Segen war, da er mir einerseits in die Freiheit verhelfen würde, aber andererseits seine Härte in mein Fleisch drückte.

Der nun folgende Weg war nur mit Hilfe zu beschreiten und auch nur durch die Liebe der vielen Besucher und ihre Freude über mein Vorankommen einigermaßen erträglich. Durch meinen ehemals durchtrainierten Körper und meinen starken Willen erreichte ich schnell wieder eine gute Muskulatur im Beinbereich. Nach 14 weiteren Tagen wurde ich so in die Freiheit entlassen.

In kürzester Zeit schnitt ich den Jungs in meiner Clique die Haare wieder zum Mecki, versammelte eine große Freundesgruppe wieder zum Zelten und brachte selbstgemachte Energie und Leben in meine ans Krankenhaus gewöhnten Zellen. Ich musste leider die Klasse wiederholen und wurde ein Jahr vom Sportunterricht befreit. Jedoch wurde ich in keinster Weise mit Reha-Kuren, Massagen oder Krankengymnastik stabilisiert. Die liebevolle Clique und meine Familie, mein Umgang mit der Natur und das Stehaufmännchen in mir waren die Verbündeten auf dem Weg zur Genesung. Nach den drei Monaten Fixateur ertrug ich noch einmal für drei Monate eine dicke Halskrause, die mir wiederum stabilen Halt gab. Als auch diese entfernt wurde, spürte ich den Bereich meines Halses schutzlos und nackt der Außenwelt präsentiert und etwas, das mich sonst quälte, fehlte mir. Von da an fing ich an, mir die größte Sammlung von Halstüchern zuzulegen. Ich fühlte mich durch sie etwas sicherer, da ich mit ihnen meinen nun schiefen Hals etwas verbergen konnte.

Das Leben ging weiter und eroberte mich vorsichtig zurück.


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