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Die Zeichen der anderen Wirklichkeit

Kapitel 2

Ahnenenergie – Oma
 

Meine Oma kam aus Neu Celle an der Oder. Ihr Heimathaus war eine kleine Bäckerei, die sich zwischen einem Kloster und einer Gaststätte befand. Diese Bäckerei betrieb sie gemeinsam mit ihrem Mann, der Bäckermeister war. Während des Krieges sorgten beide dafür, dass die Menschen in ihrem Dorf satt wurden.

Meine Oma und mein Opa hatten zwei Kinder, meine Mutter und meinen Onkel. Mein Onkel hat schon als Kind im Betrieb mitgeholfen, wurde später auch Bäcker, obwohl viele Leute meinten, dass er so intelligent war, dass er mehr hätte aus sich machen können.

Offenbar hatte meine Oma schon damals ein gutes Bauchgefühl, denn schon während des zweiten Weltkrieges konnte sie viele Dorfbewohner vor einer drohenden Bombardierung warnen, da sie die Vorboten dafür einfach spürte.

Später zogen alle vier nach Wolfsburg. Mein Opa und mein Onkel arbeiteten nun bei VW, genauso wie mein Stiefvater, der in drei Schichten arbeitete.

Schön war, dass wir alle zusammen in einem eigenen großen Reihenhaus mit großem Garten lebten.

Mein Onkel wohnte in der Mansarde und ich liebte ihn sehr. Es war spannend und machte Spaß, bei ihm zu sein, denn seine Hobbys waren so ganz anders als bei dem Rest der Familie. Er war Leser, Politiker, Weintrinker, Spanienliebhaber, Zigarrenraucher, Biertrinker, VW-Arbeiter und als Funker tauschte er sich mit Menschen aus aller Welt aus.

Er las immer spannende Bücher, so spannend, dass er nicht einmal den Kopf hob, wenn ich nach oben kam. Seine Nahrung bestand aus Buchstaben und dem Neusten aus der Politik, wobei er seine politischen Ansichten gern mit Opa ausdiskutierte, was mich dann aber an Alfred Tetzlaff und Ekel Alfred aus der politischen Satireserie „Ein Herz und eine Seele“ erinnerte.

Mein Onkel hatte eine bestimmte Ausstrahlung, die dazu führte, dass ich in seiner Gegenwart viel Blödsinn machte, bei ihm war ich immer so frei und lustig. Für mich war er ein nahrungsreicher Dünger und ich kann heute sagen, dass er ein echter Freigeist mit eigenen Ansichten war, der sich für so viele Sachen interessierte, anders als der Rest der Familie. Das Sternzeichen Wassermann passte komplett zu ihm. Eines Tages lag ein Zettel auf seinem Schreibtisch „Bin in Spanien!“ Ich weiß noch, wie mir das Spontane an ihm imponierte und auch heute ist dies noch Vorbild für mich.

Er gab Ella und mir immer Geld, wir sollten es zurückgeben, falls er später einmal arm sein sollte. Wir unterschrieben Schuldscheine, die er nie einlöste.

Manchmal ist er mit dem Kopf auf seinem Schreibtisch eingeschlafen und da tat er mir jedes Mal leid. Ich spürte schon früh, dass es die Erwachsenen in meiner Umgebung nicht leicht hatten, aber diese Nachkriegsgeneration sprach einfach nicht über sich selbst, sie meinten oft, dass es ein Zeichen von Schwäche sei und doch nichts ändere. Aber irgendwohin mussten seine angestauten Gefühle, also meckerte er sie sich in fast dergleichen Art wie Oma von seiner Seele und ich steckte meine Angst darüber einfach in meine Liebe.

Meine Mutter und Oma waren nicht so gut verträglich miteinander und gingen sich aus dem Weg.

Wenn Opa nach Hause kam, versteckte sie sich jedes Mal im Garten und beobachtete, ob er sie denn suchen würde.

Ich selbst hatte viele gute Erinnerungen an ihren eigenartigen Charakter.

Sie hatte mir zwölf Jahre Geleitschutz in meiner Kindheit gegeben, indem sie mit mir sehr liebevoll umgegangen war. Ich lernte eine Menge bei ihr und fühlte mich immer so wohl in ihrer Gegenwart.

Sie verteidigte mich mit einem ausgezogenen Hausschuh und drohte den Kindern auf der Straße damit, wenn sie mich wieder geärgert hatten, diesen Hausschuh auf ihren Hintern zu klatschen.

Das Schönste jedoch war, mit ihr in den Wald zu ziehen, um Pilze zu suchen. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich viele Pilze und Pflanzen heute noch bestimmen kann.

Gemeinsam haben wir auch frischen Bärlauch hinter dem Haus gesammelt und gegessen. Den Geruch von Knoblauch akzeptierte sie eher als jedes gute Parfum.

Im Gesicht sah sie aus wie der weibliche Sitting Bull, ein großer Indianer Häuptling.

Ich erlernte von ihr das Brotbacken und dass man diesen Vorgang auch mit knurrenden Geräuschen vollbringen kann. Heute erwische ich mich manchmal selbst dabei, wenn ich Brot backe, seltsame Geräusche zu machen.

Und meine Oma hatte ein gutes Bauchgefühl, das sie aber kaum zeigte, sondern eher hinter einer manchmal sehr barschen Art verpackte. Ich sah aber hinter dieser Verpackung eine nette Oma mit guten Absichten.

Eines Tages kamen fast alle Geschwister meiner Oma aus der DDR angereist. Sie wirkten traurig und machten sich Sorgen wegen meiner Großmutter. Für mich gab es da keine Bedenken oder Sorgen, denn meine Oma hatte doch nur Bauchschmerzen und die Schwestern im Krankenhaus würden sich gut um sie kümmern.

Für den DDR-Besuch musste ich mein geliebtes Kinderzimmer räumen, da sie alle in der Nähe meiner Mutter schlafen wollten. Mein Quartier war nun in Omas Bett im Erdgeschoss und, brav wie ich war, folgte ich und verbrachte meine Zeit in ihrem Zimmer.

Am dritten Tag der Umquartierung lag ich schon eine halbe Stunde mittags dösend auf Omas Bett, als sich plötzlich mein Bewusstsein aus meinem Körper löste und ich unter der Zimmerdecke rechts neben dem halb offenen Fenster schwebte. Ich traute meinen Augen kaum, denn mein Blick wanderte auf eine Person, die unter mir im Bett lag und genauso aussah wie ich. Es war eine Art Gleichzeitigkeit, Schwerelosigkeit und die Leichtigkeit des Daseins, wie sie auf Erden kaum möglich ist. Mein mir vertrautes Ich oben und mein Körper unten. Mein Empfinden schwebte unter der Zimmerdecke. Ich konnte dieses Ereignis überhaupt nicht einordnen, es machte mir starke Angst. Ich schrie so laut ich konnte: „Hilfe, bitte, bitte holt mich hier runter, ich schweeebe!“

Ella kam als erste in den Raum und kurz danach meine Mutter. Ich sah sie beide immer noch aus der Perspektive der Zimmerdecke, während ihre Blicke auf meinen Körper auf dem Bett gerichtet waren. Niemand schaute nach oben, sondern auf meinen Körper unten. Meine Angst steigerte sich. Was habe ich da bloß gemacht? Eigentlich habe ich doch gar nichts gemacht. Ich habe doch nur auf dem Bett gelegen und dann ging die Reise in Lichtgeschwindigkeit los. Ella empfahl meiner Mutter belustigt, das Fenster zu schließen, da ich sonst vielleicht noch rausschweben würde. Ich schrie weiter aus Leibeskräften und war plötzlich wieder unten in meinem Körper und fragte mich, was das denn gewesen war. Für mich fühlte es sich gruselig an, dass es zur Trennung zwischen meinem Körper und meinem Bewusstsein gekommen war. Sehr seltsam war aber auch, dass mein echtes und tatsächliches Sein im oberen Teil meiner Erfahrungsreise gewesen. Ich wollte nur noch aus dem Bett und spüren, dass ich wieder komplett bin.

Kurze Zeit später wurde mir von meiner Mutter mitgeteilt, dass meine Oma im Krankenhaus verstorben war, sie hatte sehr starken Krebsbefall in der Bauchhöhle gehabt. Ich konnte es nicht fassen und wollte es auf gar keinen Fall wahrhaben. Über Wochen weinte ich Bäche.

Meine Mutter hatte mir in meiner Kindheit immer wieder ein wenig von Gott erzählt und ich hatte damals schon ein gutes Gefühl zu ihm. Daher bat ich Gott darum, sie unbedingt wieder lebendig zu machen. Ich versprach dem Vater im Himmel, dass ich es auch niemandem erzählen würde, wenn sie einfach nur wieder da wäre. Doch ihr Platz blieb leer und mein Herz lernte zum ersten Mal den grausamen Schmerz des Verlustes eines geliebten Menschen und ich hoffte, dass ich sie irgendwann wiedersehen würde. Ich fragte mich immer wieder, wo sie gerade war und wusste noch nicht, dass wir eines Tages alle ins Licht gehen und eine Auferstehung in der Ewigkeit möglich ist.

Mein Opa war ohne Oma nun genauso allein wie ich. Er saß verlassen im Garten oder auf seinem Fernsehsessel, ohne über seine Gefühle zu sprechen, aber ich erahnte sein Leid über ihren Verlust. Ich ging viel zu ihm, kämmte seine wenigen Haare, massierte seinen Nacken und leistete ihm einfach Gesellschaft. Meine Mutter kochte ihm jeden Tag Essen, was ich sehr schön fand und was die besorgte Enkelin in mir beruhigte. Meine Mutter war wohl ein Papa Kind, denn mit ihm hatte sie keinen Streit, nur stilles Einvernehmen. Aber ihr merkte ich kein Leid über den Verlust ihrer Mutter an, und ich fragte mich, wo dieses versteckte Gefühl nun wohl hinging. Auch über mein seltsames Schweben wurde kein Wort mehr verloren, der Alltag überging dieses Ereignis. Viele Jahre später wurde mir das Phänomen der Spaltung von Körper und Seele, also das Schweben unter der Decke, jedoch sehr nett vom Himmel erklärt. Bis dahin kam es in meinen Schatten der Ungereimtheiten.

Prinzipiell war ich ein liebes, angepasstes Wesen, das fast immer machte, was man ihm sagte. Außer in der Natur, da ließ ich meiner Wildnatur freien Lauf. Das Beste, was meine Eltern mir auf meinen Lebensweg mitgeben konnten, war das intensive, lebendige, naturnahe Leben während unserer Zeiten auf unserem Campingplatz in Dannenbüttel. Er glich vollends einem indianischen Dasein und hinterließ nach jedem Wochenende eine absolute Auffüllung von Freiheitsgefühlen. Das weite Land mit den angrenzenden Feldern von Kartoffeln und Korn, frischen Wiesen, spannenden Flüssen und großen, klaren Baggerseen versorgte mich die ganze Schulwoche hindurch mit Energie. Wir durften während dieser Zeit auf einem abgelegenen Hof reiten gehen, die Besitzerin überließ uns für wenig Geld ein Pony, mit dem wir durch die weite Natur gingen. Ich hatte so ein besonderes Gefühl in mir, wenn ich auf dem Pferd saß. Auf den Pferden war die Welt in Ordnung und ich dachte da oben an überhaupt nichts mehr.

Ich buddelte in Dannenbüttel das essbare Gold aus den Feldern und kokelte es später am Lagerfeuer zum Essen gar. Einmal ließ ich in meinem pubertären Wahn Pferde und Kühe gemeinsam frei und erfreute mich an ihrem Freigang. Auf die Spitze trieb ich es, als ich mit Freunden in ein sattes Kornfeld marschierte und es total toll fand, genau in der Mitte einen mitgebrachten Grill zu entzünden. Ich liebte es, barfuß durch die frischen Kuhfladen zu marschieren und es war lustig, wenn sie durch die Zehen meiner Füße herausquollen.

Nie passierte uns etwas, nur die Bauern oder Camper trugen den Schaden und wir blieben unentdeckt. Wir wurden auch nicht erwischt, als ich fast alle Schnüre der gesamten Vorzelte unseres Campingplatzes kappte. Diese Streiche und das weite Land hielten mich irgendwie am Leben. Meine wiehernden Lachkrämpfe hörte meine Mutter kilometerweit. Bis heute weiß ich nicht, ob sie das eigentlich freute, denn ihr Sternzeichen ist die unterkühlte Jungfrau und sie gab selten Emotionales preis.

Was etwas kurz kam in unserer Familie waren Herzlichkeit und emotionale Zuwendung. In dieser Hinsicht erhielt ich jedoch große seelische Unterstützung von einem kleinen braunen Pudel aus angrenzender Nachbarschaft, dessen Name „Condor“ war. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihm alles erzählen konnte und tat dies auch ausgiebig durch die kleinen Öffnungen des Zaunes, der uns täglich trennte. Ich sah ihn intuitiv wie einen Verbündeten an, denn er wurde regelmäßig vom Sohn der Besitzer durch den Garten getreten. Für mich war er mein Therapeut und eine sehr wichtige Bezugsperson sowie ein stummer, gleichgesinnter Leidensgenosse, was die Blessuren des Weltlichen anbelangte. Leider ließen sich die Besitzer von Condor scheiden und er war eines Tages einfach weg. Dieser Schmerz war in meinem kleinen Kinderherzen fast schlimmer als der Verlust meines echten Vaters, den ich nicht kennenlernen durfte, denn mit Condor hatte ich eine echte Bindung aufgebaut. Ich vermisste ihn so sehr, dass ich mit meiner schmerzenden Herzfrequenz eine so große Bestellung bei Gott aufgab, die viele Jahrzehnte später auf liebevollste Weise erfüllt werden sollte. Condors Verlust kam in meine innere Welt und ich schloss diesen Schmerz tief in mich ein, ohne irgendjemanden damit zu belästigen. Doch leider wurde der Schatten in mir damit immer dichter und größer.


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